Tödliche Untiefen. 20 Krimis an der Unterweser von Bremen bis Bremerhaven by Toby Martins Jens-Ulrich Davids (Hg.)

Autor:Toby Martins , Jens-Ulrich Davids (Hg.) [Toby Martins , Jens-Ulrich Davids (Hg.)]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: book, ebook, Bremen, Krimi, Weser
Herausgeber: Edition Temmen
veröffentlicht: 2015-11-10T16:00:00+00:00

Land Unter

von Anja Ulbig

September 1686

Stine Onnsen stand in ihrem kleinen Garten am Ende der Vegesacker Hafenstraße und hängte Wäsche auf. Die Hafenstraße war der Mittelpunkt des Ortes, praktisch alle Schiffsoffiziere wohnten dort. Die Kapitäne dicht am Wasser, gleich neben dem Havenmeisterhaus. Wer einen nicht ganz so hohen Rang hatte, wohnte weiter unten, vom Hafen ein Stück entfernt. Es war schon Herbst, bald würde die Wäsche draußen nicht mehr trocknen. Aber heute blies ein kräftiger Wind, da mochte es wohl gehen. Die Arbeit war schnell erledigt. Onno war noch auf See, nur ein paar Unterröcke und Strümpfe hingen auf der Leine. Stine seufzte. Sie war ein zupackendes Wesen und hätte gern mehr zu tun gehabt in ihrem Leben. Wenn Onno vom Walfang in die Winterpause ging, würde sich die Hausarbeit verdoppeln. Sie würde Fischerhemden und Seemannspullover in die Nähe des Kohleherds zum Trocknen aufhängen und auch etwas aufwendiger kochen. Aber der Tag hatte auch dann noch etliche Stunden, die Stine nicht recht zu füllen wusste. Was sie tun wollte, wusste sie genau. Liebend gern würde sie Kinderbrei kochen und winzigkleine Kleidungsstücke anfertigen und waschen. Aber das ließ sich nicht erzwingen. Seit vier Jahren war sie mit Onno verheiratet und immer noch nicht schwanger. In den Monaten, die er an Land war, taten sie ihr Bestes. Doch scheinbar war das nicht genug. Manchmal fürchtete sie, unfruchtbar zu sein. Onnos Geschwister hatten viele Kinder, Stines ältere Schwester Lene dagegen nur einen kränklichen Sohn. Wenn Onno heimkehrte und die erste Wiedersehensfreude verflogen war, würde das wieder ein Thema zwischen ihnen sein. Stine seufzte noch einmal und ging mit ihrem kleinen Wäschekorb zurück ins Haus.

3. Oktober 1686

Onno war wieder da. Die Waljagd war nicht sehr erfolgreich gewesen, nur einen mittelgroßen Grönlandwal hatten sie erlegt. Der Walfang war ein schwieriges Geschäft. Jährlich begaben sich etwa 25 Walfangschiffe von Vegesack aus auf die lange Reise in die Arktis, zusammengehalten und unterstützt von der bremischen Grönland-Compagnie. Tran war ein wichtiger Brennstoff und aus den Barten des Blauwals wurde Fischbein gewonnen für die Korsetts der vornehmen Damen der Stadt. Stine besaß kein Korsett, aber Onno nannte eine kleine Tabakdose aus Fischbein sein Eigen. Onno war erster Harpunier und damit ein wichtiger Mann an Bord. Stine konnte stolz auf ihn sein. An den schon kühlen Abenden saßen sie nun wieder am Kohleherd zusammen. Sechs Monate war er auf See gewesen, doch Stine kam es vor, als hätte sie erst gestern am Utkiek gestanden und ihm zum Abschied gewinkt. Onno konnte sich nicht so schnell umstellen. Schweigsam saß er auf der Holzbank am Ofen und schnitzte an einem Holzspielzeug für einen seiner unzähligen Neffen. »Wal! Wal! Noch bläst er!« Diesen Schlachtruf der Walfänger hatte er immer noch im Ohr. Und seine Gedanken waren noch eine ganze Weile auf See. Stine senkte den Blick auf ihre Näharbeit. Sicher dachte Onno daran, wie viel schöner es wäre, endlich ein kleines Schiff für einen eigenen Sohn zu schnitzen. So wie sie auch lieber ein Babyjäckchen stricken würde. Sie sprachen nicht miteinander, aber ihre Gedanken und Gefühle hingen förmlich im Raum.

Download

Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.